Neuigkeiten zu rechtlichen Themen

Flugverspätung durch Gepäckverladung: Personalmangel kann außergewöhnlichen Umstand darstellen - muss aber nicht

Nach dem Unionsrecht ist eine Fluggesellschaft nicht verpflichtet, für eine Verspätung Ausgleichszahlungen zu leisten, sobald sie nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich selbst dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ob der mittlerweile allgegenwärtige Personalmangel dazu gehört, musste nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) klarstellen.

Nach dem Unionsrecht ist eine Fluggesellschaft nicht verpflichtet, für eine Verspätung Ausgleichszahlungen zu leisten, sobald sie nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich selbst dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ob der mittlerweile allgegenwärtige Personalmangel dazu gehört, musste nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) klarstellen.

Bei einem Flug von Köln-Bonn zur griechischen Insel Kos kam es zu einer Verspätung von vier Stunden. Diese Verspätung war auf mehrere Gründe zurückzuführen, hauptsächlich aber auf einen Mangel an Personal des Flughafens Köln-Bonn für die Gepäckverladung in das Flugzeug. Mehrere Fluggäste verlangten daraufhin Ausgleichszahlungen. Das zuständige deutsche Gericht legte dem EuGH daraufhin Fragen zur Beantwortung vor. Insbesondere wollte das Gericht wissen, ob ein Personalmangel des Flughafenbetreibers eine Ausgleichszahlung abwehren kann.

Der EuGH entschied dazu: Bei einem Mangel an Personal bei dem für die Gepäckverladung in die Flugzeuge verantwortlichen Flughafenbetreiber kann es sich durchaus um einen "außergewöhnlichen Umstand" handeln. Das deutsche Gericht muss nun beurteilen, ob die Mängel von der Fluggesellschaft nicht beherrschbar waren. Beherrschbarkeit setzt vor allem voraus, dass die Fluggesellschaft befugt wäre, eine tatsächliche Kontrolle über den Flughafenbetreiber auszuüben. Selbst wenn das Gericht feststellen sollte, dass es sich bei dem fraglichen Personalmangel um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, wird die Fluggesellschaft ferner zur Befreiung von ihrer Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste zum einen nachweisen müssen, dass sich dieser Umstand auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Zum anderen wäre dann aber auch zu belegen, dass sie gegen dessen Folgen alle der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hatte.

Hinweis: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich die Fluggesellschaft nicht mit dem Argument "Personalmangel" herausreden können, sondern eine Entschädigungszahlung leisten müssen.


Quelle: EuGH, Urt. v. 16.05.2024 - C-405/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2024)

Fünffach verklickt? Erfordert ein Reisestorno mehrere Onlineschritte, kann nicht von einem Versehen ausgegangen werden

Was passiert, wenn jemand aus Versehen im Internet eine Reise storniert, können wir an dieser Stelle nicht konkret beantworten. Was aber klar ist: Dem Gericht, wie hier dem Amtsgericht München (AG), muss glaubhaft gemacht werden, dass es sich überhaupt um ein Versehen handelt. Im folgenden Fall, bei dem es unter Zuhilfenahme eben eines Versehens um Rückzahlung einer Stornogebühr ging, gelang dies eben nicht.

Was passiert, wenn jemand aus Versehen im Internet eine Reise storniert, können wir an dieser Stelle nicht konkret beantworten. Was aber klar ist: Dem Gericht, wie hier dem Amtsgericht München (AG), muss glaubhaft gemacht werden, dass es sich überhaupt um ein Versehen handelt. Im folgenden Fall, bei dem es unter Zuhilfenahme eben eines Versehens um Rückzahlung einer Stornogebühr ging, gelang dies eben nicht.

Ein Mann hatte zum Preis von 4.500 EUR eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Faro in Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte er im Internet auf der Homepage des Reiseunternehmens die Reise. Das Unternehmen buchte sodann vom Konto des Manns Stornierungsgebühren von knapp 4.000 EUR ab. Damit war der Mann nicht einverstanden. Er behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise unbeabsichtigt storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten. Schließlich klagte er die Rückzahlung des Geldes ein - vergeblich.

Das AG glaubte dem Mann schlichtweg nicht, dass er die Reise nur versehentlich storniert habe. Denn die Stornierung im Internet war mit einem Prozess von fünf Schritten relativ kompliziert gestaltet. Es kann zwar nach der allgemeinen Lebenserfahrung grundsätzlich möglich sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs - wie hier der Buchungsstornierung mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten - jedes Mal ein "Verklicken" vorgelegen haben soll.

Hinweis: Sofern Mängel bei einer Reise geltend gemacht werden sollen, ist es ganz wichtig, diese noch vor Ort zu rügen und sie dann auch beweissicher festzuhalten.


Quelle: AG München, Urt. v. 18.04.2024 - 275 C 20050/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2024)

Anspruchskürzung möglich: Auch 2021 gehört Schutzkleidung nicht zum allgemeinen Verkehrsbewusstsein von Bikern

Was ist eine sommerliche Motorradtour wert, wenn diese grenzenlose Freiheit in Leder und Gummi gezwängt wird? Die Antwort des Oberlandesgerichts Celle (OLG) mag trösten, doch Vorsicht: Andere Gerichte vertreten eine andere Auffassung, wenn es um die Frage geht, welche Verletzungen im Ernstfall durch eine angemessene Schutzkleidung hätten vermieden werden können.

Was ist eine sommerliche Motorradtour wert, wenn diese grenzenlose Freiheit in Leder und Gummi gezwängt wird? Die Antwort des Oberlandesgerichts Celle (OLG) mag trösten, doch Vorsicht: Andere Gerichte vertreten eine andere Auffassung, wenn es um die Frage geht, welche Verletzungen im Ernstfall durch eine angemessene Schutzkleidung hätten vermieden werden können.

Im Jahr 2021 fuhr der Kläger mit seinem Motorrad hinter einem landwirtschaftlichen Gespann. Trotz Überholverbots überholte er dieses Gespann. Während des Überholvorgangs kam es zur Kollision, weil der Fahrer des Gespanns nach links in eine Einmündung abbog. Bei dem Unfall verletzte sich der Kläger. Die gegnerische Haftpflichtversicherung wendete ein, dass die Verletzungsfolgen durch das Tragen von Motorradschutzkleidung - insbesondere einer Motorradhose - entweder gar nicht erst eingetreten oder eben nicht derart schwerwiegend ausgefallen wären.

Das OLG gab der Klage zu 50 % statt. Das Gericht nahm dabei ein Mitverschulden des Klägers an, weil er trotz Überholverbots überholte. Daneben sah der Senat allerdings auch eine Mithaftung beim Fahrer des Gespanns, weil dieser vor dem Abbiegen gegen seine doppelte Rückschaupflicht verstoßen habe. Zudem sei bei seinem Gespann von einer erhöhten Betriebsgefahr auszugehen.

Bezüglich des Arguments der Beklagten, die Verletzungsfolgen wären durch das Tragen von Schutzkleidung, insbesondere einer Motorradhose, gemindert gewesen oder gar vermieden worden, wies das OLG darauf hin, dass keine gesetzliche Regelung für das Tragen von Motorradschutzkleidung existiere. Der Bundesgerichtshof habe 1979 festgestellt, dass grundsätzlich maßgeblich ist, ob und inwieweit ein allgemeines Verkehrsbewusstsein besteht, zum eigenen Schutz bestimmte Schutzkleidung zu tragen. Recherchen des Senats haben ergeben, dass im Jahr 2021 nur 45,9 % der Motorradfahrer neben einem Helm weitere Schutzkleidung getragen haben, komplette Schutzkleidung dagegen nur 24,6 %. Daher könne auch für 2021 nicht von einem allgemeinen Verkehrsbewusstsein für das Tragen von Motorradschutzkleidung - insbesondere einer Motorradhose - ausgegangen werden.

Hinweis: Ob das Nichttragen von Motorradschutzkleidung als Anspruchskürzung zu berücksichtigen ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich behandelt. So vertreten einige Gerichte durchaus die Auffassung, dass das Nichttragen von Motorradschutzkleidung ein Mitverschulden des Geschädigten begründet, wenn hierdurch Verletzungen vermieden oder vermindert worden wären. Einigkeit besteht nur darüber, dass das Nichttragen von Motorradschuhen kein Mitverschulden begründet. Das Gericht muss entscheiden, ob der Verletzte die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.


Quelle: OLG Celle, Urt. v. 13.03.2024 - 14 U 122/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Masseverbindlichkeiten statt Insolvenzforderungen: Über die Verjährung von Ansprüchen in der Nachlassinsolvenz

Erben haften für Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem gesamten Vermögen. Soll im Fall einer Überschuldung des Nachlasses die Haftung auf den Nachlass beschränkt werden, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens zu stellen. Dass Ansprüche im Rahmen einer Nachlassinsolvenz aber auch verjähren können, war Gegenstand einer Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken (LG).

Erben haften für Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem gesamten Vermögen. Soll im Fall einer Überschuldung des Nachlasses die Haftung auf den Nachlass beschränkt werden, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens zu stellen. Dass Ansprüche im Rahmen einer Nachlassinsolvenz aber auch verjähren können, war Gegenstand einer Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken (LG).

Der 2011 verstorbene Erblasser wurde von seiner zweiten Ehefrau sowie von vier Kindern beerbt. Im Jahr 2012 wurde über den Nachlass, zu dem mehrere Immobilien gehörten, ein Nachlassinsolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Die Ehefrau meldete zunächst von ihr getätigte Aufwendungen - unter anderem für die Beerdigung - zur Insolvenztabelle an. Die Insolvenzverwalterin bestritt sämtliche geltend gemachten Forderungen. In der Folge machte die Ehefrau gerichtlich Ansprüche im Zusammenhang mit der Nachlassverwaltung als sogenannte Masseforderung gegenüber der Insolvenzverwalterin geltend. Die Geltendmachung erfolgte im Jahr 2017.

Nachdem die Insolvenzverwalterin sich jedoch berechtigterweise auf die Einrede der Verjährung berief, musste das LG ihr zustimmen. Die Klägerin machte ihre Ansprüche als Masseverbindlichkeit geltend. Dies sind grundsätzlich Ansprüche, die erst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Diese Ansprüche waren laut LG spätestens im Jahr 2012 entstanden, so dass grundsätzlich eine Verjährung mit Ablauf des Jahres 2015 eingetreten war. Maßgeblich hierbei ist die dreijährige Regelverjährungsfrist. Die Verjährung war auch nicht gehemmt. Zwar geschehe dies durchaus durch die wirksame Anmeldung im Insolvenzverfahren - hiervon erfasst werden aber nur Ansprüche, die als Insolvenzforderung geltend gemacht werden. Das LG stelle zudem klar, dass es keine Verpflichtung der Insolvenzverwalterin gegeben hat, die Erbin darauf hinzuweisen, dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen um Masseverbindlichkeiten gehandelt hat - und eben nicht um Insolvenzforderungen.

Hinweis: Für den Antrag auf Eröffnung einer Nachlassinsolvenz ist es ausreichend, wenn nur ein Miterbe diesen Antrag stellt.


Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 16.02.2024 - 3 U 2/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Fußgänger auf Radweg: Keine Prozesskostenhilfe bei aussichtsloser Rechtsverteidigung nach selbstverschuldeten Unfall

Der Straßenverkehr ist eine Art Spiegel gesellschaftlicher Schieflagen. Auch der folgende Fall zeigt, dass alles einfacher wäre, würden sich alle an bestehende Regeln halten und zudem jene Rücksicht nehmen, die sie selbst auch erwarten. Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) musste im folgenden Fall zuerst die prozessualen Erfolgsaussichten abwägen, um über eine begehrte Prozesskostenhilfe (PKH) zu entscheiden.

Der Straßenverkehr ist eine Art Spiegel gesellschaftlicher Schieflagen. Auch der folgende Fall zeigt, dass alles einfacher wäre, würden sich alle an bestehende Regeln halten und zudem jene Rücksicht nehmen, die sie selbst auch erwarten. Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) musste im folgenden Fall zuerst die prozessualen Erfolgsaussichten abwägen, um über eine begehrte Prozesskostenhilfe (PKH) zu entscheiden.

Ein Fußgänger, der spätere Beklagte, trat auf einen Radweg, ohne auf den dortigen Radverkehr zu achten. Es kam, wie es kommen musste, um als Fall hier behandelt zu werden: zur Kollision mit einem Radfahrer. Der Radfahrer verlangte in der Folge Schadens- und Schmerzensgeld von dem Fußgänger. Dieser Beklagte beantragte seinerseits für das gerichtliche Verfahren PKH. Doch dieses Ansinnen hatte in den Augen des zu entscheidenden Gerichts keinerlei Aussicht auf Genehmigung.

Das OLG hat durch Beschluss den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass die Rechtsverteidigung des Beklagten keinerlei Aussicht auf Erfolg habe. Der Beklagte habe den Unfall allein schuldhaft verursacht. Zwar ist der Radweg kein Bestandteil der Fahrbahn - dennoch handelt es sich durchaus um einen durch Verkehrszeichen oder seine bauliche Gestaltung als solchen erkennbaren Sonderweg. Und dessen Benutzung ist primär Radfahrern vorbehalten. Fußgänger, die einen Radweg überqueren wollen, müssen folglich auf die Radfahrer Rücksicht nehmen. Ein Fußgänger darf einen Radweg erst betreten, wenn er davon überzeugt sein kann, dass er keinen Radfahrer gefährdet oder an dessen Weiterfahrt behindert. Ein Mitverschulden des Fahrradfahrers konnte hier nicht festgestellt werden. Insbesondere musste der Radfahrer seine Geschwindigkeit auch nicht auf die Möglichkeit einrichten, dass ein Fußgänger vor ihm auf die Fahrbahn treten wird.

Hinweis: Beim Überqueren eines Radwegs müssen Fußgänger auf die Radfahrer Rücksicht nehmen. Sie dürfen einen Radweg erst dann überqueren, wenn eine Behinderung ausgeschlossen ist (§ 25 Abs. 3 Straßenverkehrs-Ordnung). Laut statistischem Bundesamt ereigneten sich im Jahr 2021 rund 85.000 Fahrradunfälle, wobei E-Bikes oder Pedelecs an 17.000 Unfällen beteiligt waren.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 12.03.2024 - 12 W 7/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Kein Strafklageverbrauch: Keine innere Verknüpfung von zeitgleichem Fahren ohne TÜV und ohne Fahrerlaubnis

Steht eine Verurteilung in einer Bußgeldsache einer weiteren Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis entgegen, wenn beide Taten zeitgleich im selben Fahrzeug verwirklicht werden? Das Amtsgericht Kaiserslautern (AG) meinte ja - das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) sah das jedoch anders.

Steht eine Verurteilung in einer Bußgeldsache einer weiteren Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis entgegen, wenn beide Taten zeitgleich im selben Fahrzeug verwirklicht werden? Das Amtsgericht Kaiserslautern (AG) meinte ja - das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) sah das jedoch anders.

Der Angeklagte hatte im Dezember 2022 mit seinem Pkw am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen, obwohl er nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war. Bei einer Verkehrskontrolle wurde zudem festgestellt, dass der Angeklagte den Termin zur Vorführung seines Fahrzeugs zur Hauptuntersuchung (HU) überschritten hatte. Daher wurden sowohl ein Strafverfahren als auch ein Bußgeldverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet. Das AG hatte den Angeklagten wegen einer Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Überschreitens des Termins zur Vorführung zur HU in dem Bußgeldverfahren zu einer Geldbuße von 60 EUR verurteilt. Das Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis wurde durch das AG jedoch eingestellt, da es davon ausgegangen ist, dass durch die Verurteilung in der Bußgeldsache in der Strafsache ein sogenannter Strafklageverbrauch eingetreten sei - niemand darf wegen einer Tat mehrmals abgeurteilt werden.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat das OLG das nun Urteil aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das AG zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass das in der Bußgeldsache ergangene Urteil der Verfolgung des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht entgegenstehe. Die Ausführungshandlungen der beiden Delikte deckten sich nicht einmal teilweise. Bei der Ordnungswidrigkeit habe der Angeklagte in seiner Funktion als Kfz-Halter den Entschluss gefasst, einer gesetzlichen Handlungspflicht nicht nachzukommen. Sein Entschluss für das Fahren ohne Fahrerlaubnis beruhe hingegen auf einem gesondert gefassten Tatentschluss. Eine sogenannte "innere Verknüpfung" beider Handlungen, die über eine bloße punktuelle Gleichzeitigkeit hinausgehe, liege daher nicht vor.

Hinweis: Sogenannte materiell-rechtlich selbständige Taten sind meist auch prozessual selbständig, falls nicht besondere Umstände die Annahme einer Tat rechtfertigen. Letzteres wird angenommen, wenn die Handlungen innerlich stark miteinander verknüpft sind, so dass nur ihre gemeinsame Würdigung sinnvoll und möglich ist, während eine getrennte Würdigung sowie Aburteilung in verschiedenen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden werden würde.


Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 29.01.2024 - 1 ORs 1 SRs 16/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Eigenbedarf für Teilgewerbe: Begründeter beachtenswerter Nachteil reicht vermieterseitig aus

Die Kündigung wegen Eigenbedarfs für Wohnzwecke ist eindeutig, und wenn der Vermieter die hierfür notwendigen Regeln einhält, wird er vor Gericht obsiegen. Was aber passiert, wenn er die Wohnung nur teilweise zu Wohnzwecken nutzen will, musste kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) beantworten.

Die Kündigung wegen Eigenbedarfs für Wohnzwecke ist eindeutig, und wenn der Vermieter die hierfür notwendigen Regeln einhält, wird er vor Gericht obsiegen. Was aber passiert, wenn er die Wohnung nur teilweise zu Wohnzwecken nutzen will, musste kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) beantworten.

Mieter bewohnten seit 1977 eine Dreizimmerwohnung in Berlin. Sie hatten zuletzt im September 1982 einen schriftlichen Mietvertrag abgeschlossen, wonach das Mietverhältnis am 01.07.1982 beginnen sollte. Es war zudem eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten vorgesehen, wenn seit der Überlassung des Wohnraums zehn Jahre vergangen sind. Im Juli 2013 wurde das Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Im Jahr 2018 erwarb ein neuer Eigentümer die Wohnung und erklärte im Januar 2021 die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.10.2021. Zur Begründung führte er unter anderem aus, die Räume künftig überwiegend für seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt zu nutzen und dort auch seinen Wohnsitz begründen zu wollen, nachdem das Mietverhältnis über seine bisher genutzten Kanzlei- und Wohnräume zu diesem Zeitpunkt ende. Dieser Wunsch stelle ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses dar. Im August 2021 teilte das Bezirksamt dem Rechtsanwalt mit, dass die Genehmigung der beantragten gewerblichen Zweckentfremdung der Wohnung beabsichtigt sei, sofern es sich bei dieser um seine Hauptwohnung handele. Daraufhin verlangte der Rechtsanwalt die Räumung der Wohnung und klagte.

In den ersten beiden Instanzen wurde die Räumungsklage abgewiesen - der BGH hob das Urteil jedoch wieder auf. Beabsichtigt der Vermieter, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer (frei-)beruflichen Tätigkeit nachzugehen, wird es für das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses regelmäßig ausreichen, dass ihm andernfalls ein "beachtenswerter Nachteil" entstünde. Die Vorinstanz war noch davon ausgegangen, dass es hierfür sogar einen "gewichtigen Nachteil" für den Vermieter geben müsse. Das war jedoch nicht korrekt. Deshalb muss die Vorinstanz nun entscheiden, ob ein lediglich "beachtenswerter Nachteil" für den Rechtsanwalt entsteht, wenn der Räumungsklage nicht stattgegeben wird. Auch die zu kurz bemessene Kündigungsfrist durch den Vermieter wird den Mietern nicht helfen. Es ist eindeutig, dass der Vermieter das Mietverhältnis beenden will. Dann gilt die Kündigung zum nächsten zulässigen Termin.

Hinweis: Das Gericht der vorherigen Instanz muss die Angelegenheit nun nach Maßgabe der Vorgaben des BGH nochmals entscheiden. Vieles spricht dafür, dass die Mieter die Wohnung nun räumen müssen.


Quelle: BGH, Urt. v. 10.04.2024 - VIII ZR 286/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Internationales Testamentsvollstreckerzeugnis: Ohne ausdrückliche Rechtswahl gilt Gesamtrechtsnachfolge des letzten gewöhnlichen Aufenthaltstaats

Dass die Europäische Erbrechtsverordnung auch Regeln für die Gesamtrechtsnachfolge vorgibt, wenn verstorbene EU-Bürger ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem außereuropäischen Staat hatten, war vor kurzem Thema vor dem Amtsgericht Bonn (AG). Anlass war die Gegenwehr zweier Hinterbliebener in Deutschland, die die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses für einen sogenannten Executor in Afrika zu verhinden versuchten.

Dass die Europäische Erbrechtsverordnung auch Regeln für die Gesamtrechtsnachfolge vorgibt, wenn verstorbene EU-Bürger ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem außereuropäischen Staat hatten, war vor kurzem Thema vor dem Amtsgericht Bonn (AG). Anlass war die Gegenwehr zweier Hinterbliebener in Deutschland, die die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses für einen sogenannten Executor in Afrika zu verhinden versuchten.

Die Erblasserin war deutsche Staatsangehörige und an ihrem letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort in Afrika verstorben. Sie hatte zunächst im Jahr 2006 ein handschriftliches Testament errichtet und ihre Nichten zu alleinigen Erben ihres in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Vermögens eingesetzt. Im August 2011 errichtete die Erblasserin dann ein maschinenschriftlich verfasstes Testament im Beisein von drei Zeugen in englischer Sprache und widerrief alle vorher von ihr verfassten Testamente. Zugleich setzte sie einen Executor zum Zweck der Abwicklung des Nachlasses ein - vergleichbar mit dem Einsetzen eines Testamentsvollstreckers nach deutschem Recht. Die Nichten wandten sich gegen die Erteilung eines in Deutschland beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisses für den Executor und waren der Ansicht, für den in Deutschland befindlichen Nachlass sei nur das Testament aus dem Jahr 2006 maßgeblich. Die im Jahr 2011 getroffene Verfügung sei nach deutschem Recht keine formal wirksame Verfügung.

Das AG hat das beantragte Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt. Deutsche Gerichte seien zunächst zuständig, da sich Nachlassvermögen innerhalb der Bundesrepublik befinde. Darüber hinaus sei für den Fall aber nicht auf das deutsche Erbrecht abzustellen. Nach der Europäischen Erbrechtsverordnung unterliegt die Gesamtrechtsnachfolge grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte - auch dann, wenn es sich dabei um ein Nicht-EU-Land handelt. Etwas anderes gilt nur, wenn eine ausdrückliche Rechtswahl getroffen wird, was vorliegend nicht der Fall war. Das AG kam zu dem Ergebnis, dass das Testament nach dem nationalen Recht des Aufenthaltslands wirksam errichtet worden sei. Dies beinhaltete auch die Einsetzung eines Executors. Da das Testament aus dem Jahr 2011 den gesamten Nachlass regeln sollte und die Einsetzung des Executors nicht auf ein bestimmtes Nachlassvermögen beschränkt war, erstreckt sich dessen Tätigkeit auch auf das in der Bundesrepublik Deutschland befindliche Vermögen.

Hinweis: Durch das Testamentsvollstreckerzeugnis weist sich der Testamentsvollstrecker gegenüber Dritten als verfügungsbefugt über den Nachlass aus. Das Zeugnis wird nur auf einen ausdrücklichen Antrag hin erteilt.


Quelle: AG Bonn, Beschl. v. 14.04.2024 - 34 VI 136/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Ererbtes Ausschlagungsrecht: BGH bestätigt rechtmäßige Erbschaftsausschlagung durch den Fiskus

Im Gegensatz zu Erben steht es dem Fiskus als gesetzlichem Erben nicht zu, eine Erbschaft auszuschlagen. So soll verhindert werden, dass ein Nachlass "herrenlos" wird. Ob dies auch gilt, wenn sich in dem Nachlass die Erbschaft eines Vorverstorbenen befindet, war Gegenstand einer jüngeren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).

Im Gegensatz zu Erben steht es dem Fiskus als gesetzlichem Erben nicht zu, eine Erbschaft auszuschlagen. So soll verhindert werden, dass ein Nachlass "herrenlos" wird. Ob dies auch gilt, wenn sich in dem Nachlass die Erbschaft eines Vorverstorbenen befindet, war Gegenstand einer jüngeren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).

Der Erblasser war am 15.01.2021 verstorben und hatte in einem notariellen Testament seinen Sohn zum Alleinerben und - für den Fall, dass dieser vor ihm versterben sollte - ersatzweise seinen Enkel als Erben bestimmt. Der Sohn verstarb ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung bereits wenige Tage nach seinem Vater. Dessen Sohn schlug daraufhin form- und fristgerecht die Erbschaft nach seinem Vater aus. Mit Beschluss vom 25.03.2021 stellte das Nachlassgericht daraufhin fest, dass der Freistaat Sachsen Erbe nach dem verstorbenen Sohn des Erblassers geworden sei. Schließlich schlug der Fiskus die Erbschaft nach dem Erblasser aber aus, und dem Enkel des Erblassers wurde ein Erbschein ausgestellt, der ihn als Alleinerben auswies. In einem darauf folgenden Nachlassinsolvenzverfahren war der Insolvenzverwalter nun aber der Ansicht, dass dieser Erbschein unrichtig sei und eingezogen werden müsse. Dieser Ansicht schlossen sich die Rechtsinstanzen nicht an.

Laut BGH sei zutreffend, dass dem Fiskus im konkreten Fall das Recht zugestanden habe, die Erbschaft nach dem Sohn des Erblassers auszuschlagen. Im Wege der Rechtsnachfolge sei nämlich auch das Recht des Sohns zur Ausschlagung der Erbschaft aufgrund der testamentarischen Verfügung des Erblassers auf den Fiskus übergegangen. Von dem gesetzlichen Ausschlagungsverbot nicht erfasst sei auch ein ererbtes Ausschlagungsrecht. Da die Gerichte der Ansicht waren, dass das notarielle Testament so zu verstehen sei, dass der Enkel auch dann erben solle, wenn der Vater nicht vor dem Erblasser verstirbt, war der erteilte Erbschein richtig und nicht einzuziehen.

Hinweis: Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen. Beruht die Erbenstellung auf einer Verfügung von Todes wegen, beginnt die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung durch das Nachlassgericht.


Quelle: BGH, Beschl. v. 24.04.2024 - IV ZB 23/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

"Vorverlegt = annulliert": Bereits eine Vorverlegung eines Flugs von nur einer Stunde kann Entschädigungsansprüche auslösen

Wird ein Flug annulliert oder vorverlegt, müssen Fluggesellschaften ihre Passagiere darüber informieren. Wie das genau zu erfolgen hat, zeigt dieser Fall, den der Bundesgerichtshof (BGH) zu klären hatte.

Wird ein Flug annulliert oder vorverlegt, müssen Fluggesellschaften ihre Passagiere darüber informieren. Wie das genau zu erfolgen hat, zeigt dieser Fall, den der Bundesgerichtshof (BGH) zu klären hatte.

Eine Reisegruppe hatte eine Pauschalreise gebucht. Für die Rückreise verfügte sie über eine bestätigte Buchung für einen Flug am 14.09.2019 von Burgas in Bulgarien nach Köln/Bonn mit Abflug um 23:55 Uhr. Als einer der Reisenden am 18.08.2019 für alle Sitzplätze reservierte, erfuhr er von einer Vorverlegung der Abflugzeit auf 4:30 Uhr. Er unterrichtete die anderen hierüber, woraufhin diese eine Ausgleichszahlung von 400 EUR pro Person gerichtlich geltend machten. Und tatsächlich hatten sie einen Anspruch auf die Zahlung.

Die Vorverlegung eines Flugs um mehr als eine Stunde ist nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Annullierung anzusehen. Danach obliegt es dem Luftfahrtunternehmen, die erforderlichen Informationen an den Fluggast zu übermitteln. Dies gilt auch dann, wenn der Beförderungsvertrag über einen Dritten abgeschlossen wurde. Auch in solchen Konstellationen wird der bei einem Verstoß gegen die Verpflichtungen aus der Verordnung zu leistende Ausgleich allein vom ausführenden Luftfahrtunternehmen geschuldet. Die Mitteilung der geänderten Flugzeiten an den Pauschalreiseveranstalter hat der BGH dabei als nicht ausreichend angesehen.

Hinweis: Auch die Vorverlegung eines Flugs nur um eine Stunde ist also eine Annullierung im Rechtssinne und kann Entschädigungsansprüche auslösen.


Quelle: BGH, Urt. v. 30.01.2024 - X ZR 135/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2024)