Neuigkeiten zu rechtlichen Themen

Fehler bei Betriebsratswahl: Wahlausschreiben muss auch abwesenden Arbeitnehmern zugänglich gemacht werden

Das Feld der Betriebsratswahl ist weit und mit allerlei Stolperfallen bestückt - vor allem in Betrieben, in denen eine solche Wahl noch nicht zur Routine gehört. Läuft eine Betriebsratswahl nicht ordnungsgemäß ab, wird sie meistens angefochten und im schlimmsten Fall wiederholt. So geschah es auch in diesem Fall vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG).

Das Feld der Betriebsratswahl ist weit und mit allerlei Stolperfallen bestückt - vor allem in Betrieben, in denen eine solche Wahl noch nicht zur Routine gehört. Läuft eine Betriebsratswahl nicht ordnungsgemäß ab, wird sie meistens angefochten und im schlimmsten Fall wiederholt. So geschah es auch in diesem Fall vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG).

In einem großen Einzelhandelsunternehmen mit bundesweit 17 Niederlassungen wurden durch einen Zuordnungstarifvertrag Betriebsratsregionen gebildet. Die Betriebsratsregion Ost umfasste 870 Filialen mit ca. 14.500 Mitarbeitern. In dieser Region wurde dann eine Betriebsratswahl durchgeführt. Der Wahlvorstand fertigte ein sogenanntes Wahlausschreiben und versandte es auf elektronischem Weg in die Filialen. Dort wurde es wunschgemäß ausgedruckt und aufgehängt. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch mindestens 292 Mitarbeiter unter anderem wegen Mutterschutz, Elternzeit und Erkrankungen dauerhaft nicht in den Filialen beschäftigt. Nach Ablauf der Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen versandte der Wahlvorstand das Wahlausschreiben auch an die dauerhaft abwesenden Mitarbeiter - allerdings erst zusammen mit den Unterlagen für die Briefwahl. Schließlich wurde gewählt, und der Wahlvorstand gab das Wahlergebnis bekannt. Eine ganze Reihe von Arbeitnehmern erklärte daraufhin gerichtlich die Anfechtung der Wahl.

Das LAG gab dem Antrag statt und erklärte die angefochtene Betriebsratswahl für unwirksam. Die Versendung des Wahlausschreibens an die zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht präsenten Arbeitnehmer sei zu spät erfolgt. § 3 Abs. 4 Satz 4 der Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes verpflichtet den Wahlvorstand, das Wahlausschreiben unmittelbar nach seinem Erlass den Personen zugänglich zu machen, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. Die Versendung erst mit den Briefwahlunterlagen nach Ablauf der Fristen für Einsprüche gegen die Wählerliste und Einreichung von Wahlvorschlägen ist ein grundsätzlich zur Wahlanfechtung berechtigender Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren.

Hinweis: Alle Beteiligten sollten bei einer Betriebsratswahl versuchen, die geltenden Gesetze einzuhalten, um unangenehme Wahlwiederholungen zu vermeiden.


Quelle: Thüringer LAG, Beschl. v. 27.03.2024 - 4 TaBV 13/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Haager Kindesentführungsabkommen: Über die Rückführung eines Kleinkinds in Krisengebiete

Internationale Kindesentführungen folgen in allen Staaten, die dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) beigetreten sind, einer einfachen Regel: Schnellstens muss das Kind in das Land der Entführung zurück, damit dort gerichtlich über sein weiteres Schicksal entschieden werden kann. Doch was ist, wenn es sich wie im Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG) dabei um ein Krisengebiet handelt?

Internationale Kindesentführungen folgen in allen Staaten, die dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) beigetreten sind, einer einfachen Regel: Schnellstens muss das Kind in das Land der Entführung zurück, damit dort gerichtlich über sein weiteres Schicksal entschieden werden kann. Doch was ist, wenn es sich wie im Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG) dabei um ein Krisengebiet handelt?

In diesem Fall ging es um ein nicht einmal ein Jahr altes Kind eines griechisch-deutschen Elternpaars, das aus beruflichen Gründen in Israel lebte. Die Mutter flog heimlich mit dem Kind nach Deutschland, der Vater stellte bei der Behörde in Israel einen Antrag auf Rückführung.

Das OLG verurteilte die Mutter auch tatsächlich, das Kind innerhalb einer Woche nach Israel zurückzubringen, und drohte ihr bei Weigerung Ordnungsgeld und Ordnungshaft an. Zudem gab das Gericht dem Gerichtsvollzieher die Freigabe, das Kind nach Ablauf dieser Frist mit Durchsuchen der Wohnung und polizeilicher Hilfe abzuholen.

Zur Eskalation des Nahostkonflikts nahm das OLG wie folgt Stellung: Die Voraussetzungen der Härteklausel gemäß Art. 13 HKÜ können vorliegen, wenn das Kind in ein Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiet zurückgeführt werden soll und dort eine konkrete Gefahr für das Kind bestehe. Allerdings gehören die in dem Herkunftsstaat herrschenden generellen Lebensbedingungen zum allgemeinen Lebensrisiko, das in der Regel hinzunehmen sei. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts führe nicht automatisch zur Annahme einer schwerwiegenden Gefahr. Bei der Prüfung der Frage, ob die maßgebliche Gefährdungsschwelle im vorliegenden Fall erreicht ist, hat das OLG berücksichtigt, dass die Sicherheitslage im Staat Israel schon seit langer Zeit angespannt sei und beide Elternteile im Jahr 2020 das Risiko, in Israel zu leben, als vertretbar angesehen und sich für einen Aufenthalt dort entschieden haben.

Hinweis: Die Ukraine betreffend hatte dasselbe OLG eine Rückführung abgelehnt und führte in seiner neuen Entscheidung aus, dass die Gefahrenlage in der Ukraine nicht mit der in Israel vergleichbar sei.


Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.05.2024 - 17 UF 71/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Wissenschaftliche Redlichkeit: Bewiesene Plagiatsvorwürfe berühren Kernbereich von Professorenpflichten und führen zur Kündigung

Vertrauensbruch ist ein absoluter Kündigungsgrund. Manchmal wiegt ein solcher sogar so schwer, dass Arbeitgeber fast gar nicht anders können, als sich von einem Arbeitnehmer zu trennen. In diesem Fall, der vor dem Arbeitsgericht Bonn (ArbG) landete, handelte es sich um eine Professorin der Universität Bonn, die es mit der wissenschaftlichen Redlichkeit nicht ganz genau genommen hatte.

Vertrauensbruch ist ein absoluter Kündigungsgrund. Manchmal wiegt ein solcher sogar so schwer, dass Arbeitgeber fast gar nicht anders können, als sich von einem Arbeitnehmer zu trennen. In diesem Fall, der vor dem Arbeitsgericht Bonn (ArbG) landete, handelte es sich um eine Professorin der Universität Bonn, die es mit der wissenschaftlichen Redlichkeit nicht ganz genau genommen hatte.

Die angestellte Professorin im Fachbereich Politikwissenschaften wurde zum 31.03.2023 entlassen, nachdem ihr vorgeworfen wurde, die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis nicht eingehalten zu haben, indem sie in insgesamt drei ihrer Publikationen jeweils an verschiedenen Stellen plagiiert habe. Die Professorin meinte, es handele sich nur um Zitierfehler in Schriften mit populärwissenschaftlichem Charakter. Sie klagte deshalb gegen die Kündigung, scheiterte aber vor Gericht.

Laut Auffassung des ArbG hatte die Professorin jedenfalls in einer ihrer Publikationen, die sie im Rahmen ihrer Bewerbung vorlegte, die Grundsätze der wissenschaftlichen Redlichkeit vorsätzlich nicht eingehalten. Das stellte in einem Bewerbungsverfahren um einen universitären Lehrstuhl eine wesentliche Pflichtverletzung dar.

Hinweis: Wegen der Schwere der Verletzung in einem Kernbereich der Pflichten einer Professorin war auch eine vorherige Abmahnung als milderes Mittel ausnahmsweise nicht erforderlich.


Quelle: ArbG Bonn, Urt. v. 24.04.2024 - 2 Ca 345/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Statistik des Bundesfamilienministeriums: Familienreport zeigt Lebenslagen von Familien auf

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat im Mai 2024 mit dem "Familienreport" seine Auswertung amtlicher Statistiken, wissenschaftlicher Studien und repräsentativer Bevölkerungsumfragen veröffentlicht.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat im Mai 2024 mit dem "Familienreport" seine Auswertung amtlicher Statistiken, wissenschaftlicher Studien und repräsentativer Bevölkerungsumfragen veröffentlicht.

Daraus einige Erkenntnisse:

  • Personen mit Kindern im Haushalt sind insgesamt zufriedener als Personen ohne eigene Kinder.
  • In Ostdeutschland leben im Vergleich zu Westdeutschland mehr Alleinerziehende (25 % versus 19 %) und mehr unverheiratete Eltern (21 % versus 10 %).
  • Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen in Kindertagesbetreuungen ist erneut gestiegen (36,4 % im Jahr 2023) - im Vergleich zum Jahr 2006 hat sie sich fast verdreifacht.
  • Eltern verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern als noch vor zehn Jahren (Väter + 28 Minuten/Tag; Mütter: + 33 Minuten/Tag).
  • Trotz der zunehmenden Bereitschaft der Väter, Verantwortung zu übernehmen, schultern weiterhin die Mütter den Großteil der Kinderbetreuung.
  • Viele Eltern wünschen sich eine partnerschaftliche Aufgabenteilung bei Familie und Beruf. Es gelingt ihnen aber häufig nicht, dies in die Realität umzusetzen. 75 % der Mütter in Paarfamilien übernehmen den Großteil der Kinderbetreuung, aber nur 48 % finden das ideal.
  • Elternpaare, die Sorge- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich aufteilen, berichten deutlich häufiger über ein gutes Familienklima, enge Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und gegenseitige Unterstützung.
  • Väter sind heute seltener Alleinverdiener als früher. Der Anteil der Familien mit einem traditionellen Alleinverdienermodell ist von 33 % (2008) auf 26 % (2022) zurückgegangen. Der Anteil der erwerbstätigen Mütter ist im selben Zeitraum von 63 % auf 69 % gestiegen

Quelle: BMFSFJ, Pressemitteilung Nr. 024 v. 14.05.2024, www.bmfsfj.de
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Klageweg vereinfacht: BGH ändert seine Rechtsprechung zum Kindesunterhalt im Wechselmodell

Im "echten Wechselmodell", bei dem Kinder getrennt lebender Eltern sich hälftig in beiden Haushalten aufhalten, war es bislang kompliziert, Unterhalt einzuklagen. Der "Wenigerverdiener", dem ein Ausgleich zustünde, musste sich dafür erstmal das Recht durch ein vorgeschaltetes Sorgerechtsverfahren verschaffen, in dem das Gericht alternativ einen neutralen Ergänzungspfleger für den Aufgabenkreis "Unterhalt" einsetzen kann. So war es bislang auf Basis einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).

Im "echten Wechselmodell", bei dem Kinder getrennt lebender Eltern sich hälftig in beiden Haushalten aufhalten, war es bislang kompliziert, Unterhalt einzuklagen. Der "Wenigerverdiener", dem ein Ausgleich zustünde, musste sich dafür erstmal das Recht durch ein vorgeschaltetes Sorgerechtsverfahren verschaffen, in dem das Gericht alternativ einen neutralen Ergänzungspfleger für den Aufgabenkreis "Unterhalt" einsetzen kann. So war es bislang auf Basis einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).

2024 hat der BGH diese Rechtsprechung aufgegeben und in einer Fallgestaltung unverheirateter Eltern (für Geschiedene muss das Gleiche gelten) die Tür dafür geöffnet, ohne dieses Vorverfahren auszukommen. Im Fall eines Wechselmodells sind jetzt beide - nicht miteinander verheirateten - Eltern in der Lage, direkt den Unterhalt einzuklagen. Das Kind ist dann der Antragsteller - vertreten durch einen Elternteil -, und beide Eltern können Gegner sein. Es war bisher undenkbar, dass auf diese Weise ein Elternteil quasi auf beiden Seiten des Verfahrens steht.

Der BGH hält das nun für zulässig, weil es sich bei den gegen die Eltern als Teilschuldner (§ 1606 Bürgerliches Gesetzbuch) gerichteten Unterhaltsansprüchen um verschiedene Verfahrensgegenstände handelt. Zur Ermöglichung der abschließenden Klärung des gesamten Unterhalts in einem Verfahren sei das verfahrensökonomisch.

Hinweis: Bevor der BGH seine Entscheidung vom 10.04.2024 veröffentlicht hatte, kam das Oberlandesgericht Nürnberg zum selben Ergebnis (Beschl. v. 23.05.2024 - 10 WF 168/24).


Quelle: BGH, Beschl. v. 10.04.2024 - XII ZB 459/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Unwirksame Kündigung: Vorerst ist der Ersatz von Fahrtkosten zu einer anderen Arbeitsstätte abgelehnt

Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine Kündigung und klagen dagegen erfolgreich an. In der Zeit des Verfahrens arbeiten Sie bei einem anderen Arbeitgeber, haben aber erhöhte Fahrtkosten. Können Sie diese nach Erfolg Ihrer Klage auch ersetzt verlangen? Das Arbeitsgericht Bonn (ArbG) verneint dies. Ob diese Auffassung Bestand haben wird, wird die Zukunft jedoch noch zeigen müssen.

Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine Kündigung und klagen dagegen erfolgreich an. In der Zeit des Verfahrens arbeiten Sie bei einem anderen Arbeitgeber, haben aber erhöhte Fahrtkosten. Können Sie diese nach Erfolg Ihrer Klage auch ersetzt verlangen? Das Arbeitsgericht Bonn (ArbG) verneint dies. Ob diese Auffassung Bestand haben wird, wird die Zukunft jedoch noch zeigen müssen.

Mit Schreiben vom 13.09.2021 kündigte eine Arbeitgeberin fristlos das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer. Dieser legte eine Kündigungsschutzklage ein und gewann sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz. Mit Schreiben vom 27.06.2023 machte er deshalb umfangreiche Annahmeverzugsansprüche geltend. Während des dauernden Annahmeverzugs bezog er zunächst Arbeitslosengeld. Danach verdiente er bei einem anderen Arbeitgeber insgesamt 64.000 EUR brutto. Die Arbeitgeberin zahlte dem Arbeitnehmer etwas über 20.000 EUR brutto Annahmeverzugsvergütung. Jedoch stritten sich die Parteien weiter über Zahlungen: Der Arbeitsweg des Arbeitnehmers zum Arbeitsplatz bei der beklagten Arbeitgeberin betrug 13 km bis 16 km (einfache Strecke) - der Weg zum Arbeitgeber, bei dem er anderweitigen Erwerb erzielte, belief sich jedoch auf 45 km bis 46 km für die kürzeste Straßenverbindung (einfache Strecke). Der Arbeitnehmer war nun der Ansicht, dass die Arbeitgeberin ihm die zusätzlichen Fahrtkosten für die Erzielung anderweitigen Erwerbs im Wege des Schadensersatzes zu ersetzen habe.

Diese Auffassung teilte das ArbG jedoch nicht. Spricht der Arbeitgeber eine unwirksame Kündigung aus und hat der Arbeitnehmer zur Erzielung anderweitigen Verdienstes während des Annahmeverzugszeitraums höhere Fahrtkosten als bei einem fortgeführten Arbeitsverhältnis, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Arbeitgeber, der auf den Ersatz dieser Fahrtkosten gerichtet ist. Die Fahrtkosten während des Annahmeverzugs hat der Arbeitnehmer freiwillig auf sich genommen. Es handelte sich nach Auffassung des Gerichts also um Aufwendungen, die nicht zu ersetzen sind.

Hinweis: Ob diese Entscheidung Bestand haben wird, muss sich zeigen. Sicherlich kann mit genauso guten Argumenten die Geltendmachung des Schadens befürwortet werden. Es wird abzuwarten sein, wie eine höhere Instanz die Angelegenheit beurteilen wird. Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage sollten daher zunächst versuchen, die Kosten trotz dieses Urteils durchzusetzen.


Quelle: ArbG Bonn, Urt. v. 24.04.2024 - 5 Ca 1149/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Kein Beschluss nach Aktenlage: Kinder müssen vom Familienrichter angehört werden

Über Kinder darf nicht wie über Sachen - also nie nach Aktenlage - entschieden werden. Das Gericht muss sich stets einen persönlichen Eindruck vom betroffenen Kind verschaffen und es kennenlernen. Weil es daran mangelte, hob das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) die Entscheidung eines Familienrichters als verfahrensfehlerhaft auf und gab ihm auf, die erforderliche Anhörung nachzuholen.

Über Kinder darf nicht wie über Sachen - also nie nach Aktenlage - entschieden werden. Das Gericht muss sich stets einen persönlichen Eindruck vom betroffenen Kind verschaffen und es kennenlernen. Weil es daran mangelte, hob das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) die Entscheidung eines Familienrichters als verfahrensfehlerhaft auf und gab ihm auf, die erforderliche Anhörung nachzuholen.

Es ging um einen unstreitig alkoholkranken Vater, der rückfällig geworden war. Jemand hatte anonym eine Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt gemeldet, das bei einem Hausbesuch das Kind dann auch in Obhut nahm. Im Verfahren behauptete der Vater, er sei nun abstinent und könne das Kind versorgen. Außerdem wolle das Kind auch wieder bei ihm wohnen. Von seiner Abstinenz war das Gericht jedoch nicht überzeugt. Es käme wegen der objektiven Kindeswohlgefährdung auf den Kindeswillen sowieso nicht an - und so veranlasste der Richter auch keine Anhörung des Kindes.

Laut OLG ist die persönliche Anhörung des Kindes jedoch zwingend. Sie dient auch dem Verschaffen eines Eindrucks von dem Kind durch das Familiengericht, um daraus Rückschlüsse auf dessen Befindlichkeit, Wünsche, Neigungen und Bindungen zu ziehen. Das OLG habe daher die Aufgabe, das Verfahren unter Berücksichtigung des Alters, des Entwicklungsstands und der sonstigen Fähigkeiten des Kindes so zu gestalten, dass das Kind seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden lassen kann. Sollte tatsächlich, wie das erstinstanzliche Gericht mutmaßt, der Wille des Kindes mit dessen Wohl nicht in Einklang zu bringen sein, ist dies in der Entscheidung zu begründen. Das Gericht hat von vornherein die Pflicht, den Kindeswillen im Rahmen der Amtsermittlung zu erforschen. Denn dieser sei zu berücksichtigen, soweit das mit Kindeswohl vereinbar ist. Eine angemessene Berücksichtigung findet der Kindeswille selbst dann, wenn er gegen andere Kindeswohlkriterien abgewogen und ihm im Ergebnis nicht nachgekommen wird.

Hinweis: Seit Juni 2021 gilt die Anhörungspflicht unabhängig vom Alter des Kindes. Eine Unterscheidung nach dem Kindesalter hielt der Gesetzgeber im Hinblick darauf für nicht erforderlich, dass die Fähigkeiten eines Kindes, einen eigenen Willen zu entwickeln und im Verfahren zum Ausdruck zu bringen, individuell verschieden und nicht vom Alter des Kindes abhängig sind. Bereits zuvor war die Anhörung von Kindern jedenfalls ab einer Altersgrenze von drei Jahren als erforderlich erachtet worden.


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.02.2024 - 18 UF 221/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Sorgerechtsentzug keine Lösung: Wenn Kinder den Kontakt zu einem Elternteil verweigern

Streiten sich Eltern so sehr, dass die Beziehung "hochkonflikthaft" genannt wird, wissen Gerichte oft keinen besseren Rat zum Schutz der Kinder, als den Kontaktabbruch zum Umgangselternteil zu akzeptieren. So war es im Fall des Oberlandesgerichts Köln (OLG). Hier waren die beiden Söhne vom Haushalt der Mutter in den des Vaters gewechselt und verweigerten nun den Kontakt zur Mutter.

Streiten sich Eltern so sehr, dass die Beziehung "hochkonflikthaft" genannt wird, wissen Gerichte oft keinen besseren Rat zum Schutz der Kinder, als den Kontaktabbruch zum Umgangselternteil zu akzeptieren. So war es im Fall des Oberlandesgerichts Köln (OLG). Hier waren die beiden Söhne vom Haushalt der Mutter in den des Vaters gewechselt und verweigerten nun den Kontakt zur Mutter.

Seit der Trennung 2021 hatte es bereits neun Gerichtsverfahren zwischen den Eltern gegeben - mit einer Reihe an Vorwürfen. Die Folgen: Das Jugendamt hatte eine Familienhilfe eingesetzt, ein Umgangspfleger sollte für reibungslose Kontakte sorgen, ein familienpsychologisches Gutachten wurde eingeholt. Der Vater verweigerte die Zusammenarbeit mit der Gutachterin und der Verfahrensbeiständin und schirmte die Kinder von diesen ab. Die Gutachterin musste daher nach Aktenlage bewerten, dass sich die Kinder in einem massiven Loyalitätskonflikt befänden. Auch wenn das Verhalten des Vaters, die Mutter absolut auszugrenzen, langfristig ihre Entwicklung gefährden könne, könnten erzwungene Umgangskontakte dieses Entwicklungsrisiko nicht mindern. Kontakte zur Mutter könnten also derzeit nicht stattfinden. Der Aufgabenkreis "Umgang" könne daher auf einen Ergänzungspfleger übertragen werden, der im Kontakt mit den Kindern den Zeitpunkt für eine Anbahnung ermitteln könne.

Das Amtsgericht entzog dem Vater daraufhin das Sorgerecht für den Aufgabenkreis "Umgang" und setzte das Jugendamt hierfür als Umgangspfleger ein. Sein Verhalten - nämlich die fehlende Kooperation mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten - begründe eine Kindeswohlgefährdung, da somit eine weitere Aufklärung in der Sache verhindert werde und Umgänge der Kinder mit der Kindesmutter nicht stattfinden könnten.

Das OLG gab dem Vater das Sorgerecht zurück. Es war davon überzeugt, dass die Jungen die Kontaktverweigerung selbst als einzige Lösungsmöglichkeit sehen, um zur Ruhe zur kommen. Alles spreche dafür, dass sie in ihrem Loyalitätskonflikt befürchten würden, dass ihre Bewältigungsstrategien zusammenbrechen, wenn sie sich der Auseinandersetzung mit der Beziehung zu beiden Eltern stellen müssen. Der von den beiden Jungen geäußerte Wille sei stabil und beruhe auf ihren inneren Bindungen. Deshalb komme es nicht darauf an, ob dieser Wille auch durch das Verhalten des bindungsintoleranten Kindesvaters zustande gekommen ist. Zudem sei der Entzug des Sorgerechts kein geeignetes Mittel, die Meinung der Kinder zu verändern.

Hinweis: Der geäußerte Wille von Kindern wird auch dann beachtet, wenn er ursprünglich durch Manipulation entstanden ist, inzwischen aber vom Kind als eigener Wille empfunden wird. Schwierig ist die Beurteilung, ob die Kinder aus Angst vor Liebesentzug oder Sanktionen etwas anderes sagen, als sie sich eigentlich wünschen.


Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 16.05.2024 - 14 UF 22/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Pflichtverletzung durch Betriebsratsvorsitzenden? Reine Verdachtsmomente reichen nicht für Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung

Wenn ein Mitglied des Betriebsrats gekündigt werden soll, muss das Betriebsratsgremium vor der Kündigung zustimmen. Tut es das nicht, kann der Arbeitgeber versuchen, die Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen - so wie in diesem Fall von dem Landesarbeitsgericht Hamm (LAG).

Wenn ein Mitglied des Betriebsrats gekündigt werden soll, muss das Betriebsratsgremium vor der Kündigung zustimmen. Tut es das nicht, kann der Arbeitgeber versuchen, die Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen - so wie in diesem Fall von dem Landesarbeitsgericht Hamm (LAG).

Ein Maschinenbauunternehmen beabsichtigte, dem für die Betriebsratsarbeit freigestellten Vorsitzenden des Betriebsrats eine außerordentliche Verdachtskündigung auszusprechen. Dabei berief es sich auf den dringenden Verdacht der unzutreffenden Dokumentation von Arbeitszeiten und einen dadurch ihr entstandenen Vermögensschaden. Der Betriebsrat verweigerte jedoch die notwendige Zustimmung. Deshalb beantragte das Unternehmen, die Zustimmung des Betriebsrats zum Ausspruch der Verdachtskündigung des Betriebsratsvorsitzenden ersetzen zu lassen.

Dem kam das LAG hier jedoch nicht nach. Zwar bestanden Verdachtsmomente, jedoch kein hierfür erforderlicher dringender Verdacht der Pflichtverletzung. Sobald auch andere Geschehensabläufe denkbar sind, die den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht rechtfertigen würden, fehlt es an einem wichtigen Grund zur Rechtfertigung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung.

Hinweis: Betriebsräte sind durch das Kündigungsschutzgesetz besonders vor einer Kündigung geschützt. Das ist auch richtig und gut, denn andernfalls könnten sie ihren gesetzlichen Aufgaben aus dem Betriebsverfassungsgesetz nicht ordnungsgemäß nachkommen.


Quelle: LAG Hamm, Beschl. v. 10.05.2024 - 12 TaBV 115/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Größe des Betriebsratsbüros: Freigestellten Betriebsratsmitgliedern stehen acht Quadratmeter zu

Wie viel Fläche welchen Mitgliedern eines Betriebsrats am Arbeitsplatz geboten werden muss, war eine Frage, die das Landesarbeitsgericht Köln beantworten musste. Sinn und Zweck sowie Umfang der dort verrichteten Arbeit waren dabei für die Beantwortung ausschlaggebend.

Wie viel Fläche welchen Mitgliedern eines Betriebsrats am Arbeitsplatz geboten werden muss, war eine Frage, die das Landesarbeitsgericht Köln beantworten musste. Sinn und Zweck sowie Umfang der dort verrichteten Arbeit waren dabei für die Beantwortung ausschlaggebend.

Der Arbeitgeber des Falls hatte rund 70 Filialen, in denen 3.500 Mitarbeiter beschäftigt waren. Für einen Teilbetrieb mit 125 Mitarbeitern gab es für den installierten siebenköpfigen Betriebsrat ein Büro von 21 Quadratmetern Größe. Da dem Betriebsrat diese Fläche zu klein war, verlangte er ein Büro mit 28 Quadratmetern und zog deshalb vor das Arbeitsgericht - dies jedoch vergeblich.

Maßstab für die Größe des Betriebsratsbüros ist nach den Richtern die Anzahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder des Betriebs, denn nur diese werden regelmäßig dort arbeiten. Nach § 3a Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung in Verbindung mit der Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) A 1.2 muss jeder Arbeitsraum bei einem Arbeitsplatz mindestens eine Bürofläche von acht Quadratmetern aufweisen, für jeden weiteren Mitarbeiter zusätzliche acht Quadratmeter. Für Büro- und Bildschirmarbeitsplätze ergibt sich bei Einrichtung von Büros als Richtwert ein Flächenbedarf von acht bis bis zehn Quadratmetern je Arbeitsplatz, einschließlich Möblierung und anteiliger Verkehrsflächen im Raum. Bei einer betrieblichen Arbeitnehmerzahl von 125 Köpfen ergibt sich (nach § 38 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz) jedoch nur ein Anspruch auf die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds - 21 Quadratmeter waren damit nicht nur vollkommen ausreichend, sondern nach den genannten Prämissen sogar viel zu groß.

Hinweis: Das Betriebsratsbüro muss so groß sein, dass Freigestellte hier arbeiten können. Platz für Betriebsratssitzungen oder Sprechstunden muss es nicht bieten. Hierfür müssen dann andere Räume zur Verfügung gestellt werden.


Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 09.02.2024 - 9 TaBV 34/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)