Neuigkeiten zu rechtlichen Themen

Erforderliche und mögliche Aufmerksamkeit: Mitschuld bei Kollision eines Linksabbiegers mit unbeleuchtetem Fahrzeug möglich

Wer am frühen Abend mit seinem unbeleuchteten Auto einen Unfall verursacht, muss haften. Erst recht in der Winterzeit, oder etwa nicht? Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) musste sich mit einer solchen Sachlage befassen. Die Kollegen vom Landgericht (LG) stimmten dem Anspruch des Geschädigten nämlich nicht zu 100 % zu. Denn obwohl dieser sein Fahrzeug ordnungsgemäß beleuchtet hatte, war er als Linksabbieger nicht gänzlich unbeteiligt an dem Malheur.

Wer am frühen Abend mit seinem unbeleuchteten Auto einen Unfall verursacht, muss haften. Erst recht in der Winterzeit, oder etwa nicht? Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) musste sich mit einer solchen Sachlage befassen. Die Kollegen vom Landgericht (LG) stimmten dem Anspruch des Geschädigten nämlich nicht zu 100 % zu. Denn obwohl dieser sein Fahrzeug ordnungsgemäß beleuchtet hatte, war er als Linksabbieger nicht gänzlich unbeteiligt an dem Malheur.

Der Autofahrer wollte von einer Hauptverkehrsstraße links abbiegen. Aufgrund der Dunkelheit - wir befinden uns im Monat März so zwischen halb sieben und sieben Uhr am frühen Abend - übersah der Abbiegende das entgegenkommende Fahrzeug. Das wundert nicht, denn dieses Auto war unbeleuchtet. Und so kam es dann auch zur Kollision. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug an der Unfallstelle 70 km/h. Zum Unfallzeitpunkt waren die Straßenlaternen und der Lichtmast bereits eingeschaltet. Der Autofahrer forderte Schadensersatz von der gegnerischen Versicherung. Diese zahlte jedoch nur 2/3 des entstandenen Schadens, da sie der Ansicht war, dass das bei ihr versicherte Fahrzeug bei gebotener Aufmerksamkeit auch ohne Beleuchtung hätte erkannt werden können. Der Autofahrer bestand aber auf die Erstattung von 100 % des verlangten Schadensersatzes, was das LG abwies. Damit wollte es der Mann nicht gut sein lassen und ging vor das OLG.

Das OLG wies ihn jedoch auf die Erfolglosigkeit der Berufung gegen das Urteil des LG hin und bestätigte die Auffassung der ersten Instanz. Nach der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Entgegenkommende bei der erforderlichen und möglichen Aufmerksamkeit hätte erkannt werden können. Zwar sei die Tatsache, dass dieser kein Abblendlicht eingeschaltet hatte, als grober Pflichtenverstoß zu werten, dennoch sei eine Mithaftung des Linksabbiegers von 1/3 angemessen. Die Einholung eines Gutachtens war indes nicht möglich, da die genauen Sichtverhältnisse am Unfalltag nicht rekonstruierbar waren.

Hinweis: Der entgegenkommende Autofahrer hat gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) verstoßen, weil er wegen der bereits zum Unfallzeitpunkt eingetretenen Dämmerung ohne Abblendlicht gefahren ist. Der Kläger hat aber ebenfalls sorgfaltswidrig gehandelt, weil er - trotz Sichtbarkeit des unbeleuchtet entgegenkommenden Fahrzeugs - gleichwohl nach links abgebogen ist, ohne seiner Wartepflicht zu genügen (§§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 3 Satz 1 StVO). Wer nach links abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Für den Linksabbieger besteht eine entsprechende Wartepflicht. Sein Verschulden war daher mit 1/3 zu bewerten.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 07.07.2025 - 7 U 41/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Arglistige Täuschung: Verschweigen von Bleileitungen führt zu berechtigten Schadensersatzforderungen

Immer wieder verhandeln Gerichte, welche Sach- oder Rechtsmängel beim Immobilienkauf vor oder nach der Übergabe entdeckt werden und wie es sich hierbei mit der Gewährleistung verhält. In diesem Fall des Landgerichts Lübeck (LG) ging es um die Schadensersatzforderung gegen einen Verkäufer einer Immobilie mit 36 Wohnungen, der über vorhandene Bleileitungen im Trinkwassersystem nicht informiert hatte. Wissentlich oder unabsichtlich?

Immer wieder verhandeln Gerichte, welche Sach- oder Rechtsmängel beim Immobilienkauf vor oder nach der Übergabe entdeckt werden und wie es sich hierbei mit der Gewährleistung verhält. In diesem Fall des Landgerichts Lübeck (LG) ging es um die Schadensersatzforderung gegen einen Verkäufer einer Immobilie mit 36 Wohnungen, der über vorhandene Bleileitungen im Trinkwassersystem nicht informiert hatte. Wissentlich oder unabsichtlich?

Der Mann verkaufte ein Gebäude in Lübeck, das überwiegend vermietet war. Nach dem Kauf ließ die Käuferin die Wasserleitungen überprüfen. In mehreren Wohnungen stellte sich heraus, dass der Bleigehalt im Trinkwasser über dem gesetzlich zulässigen Grenzwert lag. Die Käuferin forderte vom Verkäufer die Rückerstattung von Mietausfällen, die wegen Minderungen entstanden. Ebenso verlangte sie Ersatz für künftige Kosten - insbesondere für die Sanierung der Leitungen, die über 200.000 EUR betragen würde. Es überraschte wenig, dass der Verkäufer bestritt, von den Bleileitungen oder erhöhten Werten gewusst zu haben. Seiner Ansicht nach stammte das Blei aus dem städtischen Wassernetz.

Das LG gab der Käuferin recht und sprach ihr Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung zu. Das Gericht stellte fest, dass Bleileitungen einen Mangel darstellen, über den der Verkäufer die Käuferin hätte informieren müssen. Zeugenaussagen belegten, dass er von den Leitungen und den überschrittenen Grenzwerten wusste und diese bewusst verschwiegen hatte. Außerdem widersprachen sich seine eigenen Angaben mehrfach, was seine Arglist bestätigte.

Hinweis: Beim Kauf von Immobilien ist es wichtig, dass der Verkäufer über alle Mängel informiert. Bleileitungen für Trinkwasser stellen einen erheblichen Mangel dar, der zu Schadensersatz führen kann. Auch Vermieter müssen prüfen, ob Trinkwasserinstallationen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.


Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 01.07.2025 - 2 O 231/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Arbeitgeber in der Pflicht: Eltern von behinderten Kindern haben laut EuGH Anrecht auf Vereinbarkeit von Beruf und Pflege

Der folgende Fall spielte sich zwar in Italien ab, doch da sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) damit befassen musste, ist dessen Urteil auch hierzulande von Interesse. Die Frage, die dem Gericht vorgelegt wurde, war, ob pflegende Eltern von behinderten Kindern vor Benachteiligungen im Job geschützt sind, auch wenn sie selbst keine Behinderung haben.

Der folgende Fall spielte sich zwar in Italien ab, doch da sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) damit befassen musste, ist dessen Urteil auch hierzulande von Interesse. Die Frage, die dem Gericht vorgelegt wurde, war, ob pflegende Eltern von behinderten Kindern vor Benachteiligungen im Job geschützt sind, auch wenn sie selbst keine Behinderung haben.

In Italien arbeitete eine Frau als Stationsaufsicht in einem Bahnhof. Ihr Sohn war schwerbehindert und brauchte regelmäßig Betreuung. Sie bat deshalb mehrmals darum, dauerhaft auf einen Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten versetzt zu werden. Der Arbeitgeber erlaubte das zeitweise, lehnte aber eine dauerhafte Lösung ab. Die Frau ging vor Gericht, und das höchste italienische Gericht legte den Fall dem EuGH vor: Es wollte wissen, ob die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie auch Eltern schützt, die wegen der Pflege eines behinderten Kindes benachteiligt werden.

Der EuGH entschied, dass das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung auch dann gilt, wenn Eltern Nachteile erfahren, weil sie sich um ihr behindertes Kind kümmern. Schon 2008 hatte das Gericht klargestellt, dass eine sogenannte "Mitdiskriminierung" unzulässig ist. Dieser Schutz umfasst also nicht nur Menschen mit Behinderung selbst, sondern auch Personen in ihrem Umfeld, wenn sie durch deren Situation betroffen sind. Der EuGH betonte zudem, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege möglich bleibt. Solche Anpassungen können etwa feste Arbeitszeiten oder flexible Modelle sein. Allerdings müssen sie für das Unternehmen wirtschaftlich zumutbar bleiben. Ob das im Einzelfall so ist, müssen die jeweiligen, nationalen Gerichte prüfen.

Hinweis: Dieses Urteil stärkte die Rechte von Eltern mit pflegebedürftigen Kindern deutlich. Arbeitgeber müssen Anträge auf Anpassung der Arbeitszeiten ernsthaft prüfen und dürfen sie nicht pauschal ablehnen. Wer das ignoriert, riskiert eine Diskriminierungsklage.


Quelle: EuGH, Urt. v. 11.09.2025 - C-38/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Europäische Erbrechtsverordnung: Ohne Rechtswahl gilt für deutsche Immobilien aus US-amerikanischer Erbschaft deutsches Erbrecht

Das vererbte Haus in Übersee - ein Traum. Dass derartige Träume schnell zu Schäumen werden, liegt nicht selten an der Realität und im folgenden Fall auch am deutschen Rechtssystem. Übersee war hier nämlich München, von New York aus gesehen. So war es zuerst am Amtsgericht (AG) und dann am Oberlandesgericht München (OLG) zu klären, nach welchem Recht die Erbschaft der deutschen Immobilie und die diesbezüglich erfolgte, aber bereute Ausschlagung zu beurteilen war.

Das vererbte Haus in Übersee - ein Traum. Dass derartige Träume schnell zu Schäumen werden, liegt nicht selten an der Realität und im folgenden Fall auch am deutschen Rechtssystem. Übersee war hier nämlich München, von New York aus gesehen. So war es zuerst am Amtsgericht (AG) und dann am Oberlandesgericht München (OLG) zu klären, nach welchem Recht die Erbschaft der deutschen Immobilie und die diesbezüglich erfolgte, aber bereute Ausschlagung zu beurteilen war.

Der Erblasser war hier ein in New York lebender US-amerikanischer Staatsbürger. Dieser verstarb im Jahr 2017 und hinterließ seinen Erben seinen eigenen Anteil an einer Erbengemeinschaft, die Eigentümerin eines Hauses im fernen München war. Die Geschwister des Erblassers waren Miterben dieser Immobilie. In dem 2015 in New York vom Erblasser englischsprachig verfassten Testament hatte er seinen Bruder als Begünstigten und Testamentsvollstrecker eingesetzt. Eine ausdrückliche Rechtswahl zur Anwendbarkeit eines bestimmten Rechts - amerikanisches oder deutsches Recht? - hatte er dabei jedoch nicht getroffen. Der Bruder schlug im Jahr 2019 die Erbschaft vor dem AG Berlin-Schöneberg hinsichtlich der Immobilie in Deutschland aus, wollte die Ausschlagung aber wieder rückgängig machen. Dies begründete er damit, dass das Testament US-amerikanischem Recht unterliege - genauer gesagt: dem Recht des Bundesstaates New York. Danach sei seine Ausschlagung unwirksam gewesen, weil er den Nachlass nach dem Tod des Erblassers bereits in Besitz genommen habe. Das AG lehnte den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe ab und begründete dies damit, dass die Ausschlagung wirksam gewesen sei.

Dieser Ansicht schloss sich auch das OLG im Beschwerdeverfahren an und entschied im Kern, dass für eine in Deutschland gelegene Immobilie deutsches Erbrecht Anwendung findet. Dies ergibt sich auch aus der europäischen Erbrechtsverordnung. Nach deutschem Recht war die Ausschlagung wirksam und fristgerecht erfolgt. Zudem sei nicht erkennbar, dass eine Rechtswahl zugunsten des US-amerikanischen Rechts erfolgt sei. Das Gericht stellte zudem klar, dass auch der Anteil an einer Erbengemeinschaft, deren einziges Vermögen eine Immobilie ist, insgesamt als unbewegliches Vermögen im Sinne der Erbrechtsverordnung zu bewerten ist. Der Umstand, dass der Erblasser bei der Erstellung des Testaments englische Sprache verwendet hatte, führte ebenfalls nicht zu einer konkludenten Rechtswahl, zumal es in der amerikanischen Testamentspraxis für den Bundesstaat New York eben auch bei unbeweglichem Vermögen darauf ankommt, wo sich dieses befindet.

Hinweis: Im konkreten Fall war auch die "teilweise" Ausschlagung wirksam, weil in dem Testament das US-Vermögen und das deutsche Vermögen getrennt ("gespalten") vererbt wurden. Die Ausschlagung galt daher nur für den deutschen Teilnachlass.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 22.08.2025 - 33 Wx 246/24 e
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

"Dessen Ehefrau": Wortwahl entscheidet über Wechselbezüglichkeit bei eingesetzter Ersatzschlusserbin

Ehegatten können im Berliner Testament festlegen, wer nach dem Tod der beiden das Vermögen erhalten soll. Ein solcher gemeinsamer letzter Wille kann für den Überlebenden bindend werden, wenn die Verfügungen wechselbezüglich sind. Inwieweit die Regelung zu einer Ersatzschlusserbin wechselbezüglich sein kann, war Gegenstand einer Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).

Ehegatten können im Berliner Testament festlegen, wer nach dem Tod der beiden das Vermögen erhalten soll. Ein solcher gemeinsamer letzter Wille kann für den Überlebenden bindend werden, wenn die Verfügungen wechselbezüglich sind. Inwieweit die Regelung zu einer Ersatzschlusserbin wechselbezüglich sein kann, war Gegenstand einer Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).

Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann hatten einen gemeinsamen Sohn. Dieser Sohn hatte seinerseits einen Sohn aus erster Ehe und war in zweiter Ehe verheiratet. Nach dem Tod seines Vaters, also des vorverstorbenen Ehemanns, lebte der Sohn der Erblasserin über viele Jahre mit einer anderen Frau in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen, aus der ein weiteres Kind hervorgegangen ist. Die miteinander verheirateten Erblasser selbst hatten 1994 in ihrem gemeinschaftlichen Testament verfügt, dass nach dem Tod beider Eheleute ihr gemeinsamer Sohn alleiniger Schlusserbe werden solle. Falls der Sohn vorversterben sollte, sollte dessen Ehefrau - die damalige Schwiegertochter - als Ersatzschlusserbin eingesetzt werden. In der Tat verstarb der Sohn vor der Erblasserin, seiner Mutter. Diese hatte in der Folge dann 2018 ein weiteres Testament errichtet und die Lebensgefährtin des verstorbenen Sohns gemeinsam mit dem Enkel zu Alleinerben eingesetzt. Und man ahnt es; die Ex-Schwiegertochter war der Ansicht, dass die damalige Ersatzschlusserbeneinsetzung in dem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich und die Erblasserin daher nicht mehr befugt war, eine hiervon abweichende letztwillige Verfügung zu errichten.

Nachdem das Nachlassgericht dieser Ansicht zunächst gefolgt war, hob das OLG die Entscheidung auf und entschied, dass der Lebensgefährtin des verstorbenen Sohns ein gemeinschaftlicher Erbschein zu erteilen ist. Das OLG stellte klar, dass die Wechselbezüglichkeit, die noch für die Schlusserbeneinsetzung des gemeinsamen Sohns der Eheleute zu bejahen war, nicht automatisch auch für die Ersatzschlusserbin gilt. Es kommt auch hier darauf an, ob die Ehegatten auch diese Ersatzregelung bewusst als gemeinsame, voneinander abhängige Entscheidung getroffen haben. Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments sei es den Eheleuten aber insbesondere darauf angekommen, den gemeinsamen Sohn abzusichern. Die Einsetzung einer Ersatzschlusserbin sollte nur vorsorglich erfolgen und war keine Gegenleistung für eine vermeintliche Pflegeleistung der Schwiegertochter oder für behauptete Investitionen. Bei einer Schwiegertochter handelt es sich auch nicht automatisch um ein besonderes Näheverhältnis im Sinne des Gesetzes. Es müsse sich vielmehr um eine besondere persönliche Beziehung handeln, die mit familiärer Nähe vergleichbar ist. Bei der Formulierung des Testaments ("dessen Ehefrau") habe man aber bewusst nicht auf ein eigenes Näheverhältnis abgestellt, sondern vielmehr auf den Bestand der Ehe, die aber nicht dauerhaft garantiert sei. Da keine Wechselbezüglichkeit vorlag, war die Erblasserin frei, nach dem Tod ihres Mannes ein neues Testament zu errichten.

Hinweis: Mit der Formulierung "unsere Schwiegertochter" wäre die Bewertung möglicherweise anders ausgefallen, da hierdurch das Näheverhältnis der Erblasser zur Schwiegertochter im Vordergrund gestanden hätte.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 04.07.2025 - 3 W 79/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Gültige Betriebsvereinbarung: Nach einem Streik war die Kürzung des Weihnachtsgeldes zulässig

Dieser Sachverhalt liest sich auf den ersten flüchtigen Blick wie eine arbeitgeberseitige Diskriminierung von Streikenden: Arbeitnehmern wurde nach Teilnahme an dem Arbeitskampf das Weihnachtsgeld gekürzt! Doch wie so oft lohnt sich ein zweiter Blick, und der fällt auf eine Betriebsvereinbarung. Diese nahm sich auch das Arbeitsgericht Offenbach am Main (ArbG) ordnungsgemäß vor, bevor es sein Urteil fällte.

Dieser Sachverhalt liest sich auf den ersten flüchtigen Blick wie eine arbeitgeberseitige Diskriminierung von Streikenden: Arbeitnehmern wurde nach Teilnahme an dem Arbeitskampf das Weihnachtsgeld gekürzt! Doch wie so oft lohnt sich ein zweiter Blick, und der fällt auf eine Betriebsvereinbarung. Diese nahm sich auch das Arbeitsgericht Offenbach am Main (ArbG) ordnungsgemäß vor, bevor es sein Urteil fällte.

Im Unternehmen gab es eine Betriebsvereinbarung, die vorsah, dass das Weihnachtsgeld für jeden Tag ohne Arbeitsleistung anteilig gekürzt werden dürfe. Dabei spielte es keine Rolle, ob jemand wegen Krankheit, unbezahltem Urlaub oder anderer Gründe ausgefallen war. Als es im Betrieb zu Streiks kam, beteiligten sich einige Beschäftigte an den Arbeitskämpfen. Der Arbeitgeber behandelte die Streiktage wie andere Abwesenheiten und kürzte das Weihnachtsgeld jeweils um 1/60 pro Tag. Ein Beschäftigter wollte das nicht akzeptieren. Er war der Meinung, sein Recht auf Streik werde dadurch eingeschränkt.

Das ArbG sah das anders. Das Gericht erklärte, dass die Kürzung des Weihnachtsgeldes keine Bestrafung war, sondern die logische Folge der bestehenden Betriebsvereinbarung. Die Regel galt für alle gleich - unabhängig vom Grund der Fehlzeit. Damit lag keine Diskriminierung von Streikenden vor. Wichtig war nur, dass die Regelung allgemein, sachlich und neutral angewendet wurde. Das ArbG hielt die Kürzung um 1/60 pro Streiktag deshalb für rechtmäßig.

Hinweis: Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber Sonderzahlungen nur dann kürzen dürfen, wenn eine klare und faire Regelung besteht, die für alle gilt. Fehlt eine solche Grundlage, wäre eine Kürzung unzulässig. Streikende verlieren also nicht automatisch ihr Weihnachtsgeld - entscheidend ist, was im Betrieb vereinbart wurde.


Quelle: ArbG Offenbach am Main, Urt. v. 28.08.2025 - 10 Ca 57/25
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Nachlasspflegschaft: Sicherung des Nachlasses geht vor möglichem Gewinn

In diesem Fall musste geklärt werden, ob ein Nachlasspfleger ein zum Nachlass gehörendes Haus verkaufen durfte, um Wertverluste beispielsweise durch bauliche Alterungsprozesse des Gebäudes zu vermeiden. Eine mögliche Erbin hatte diesem Verkauf widersprochen, das Nachlassgericht den Verkauf aber zunächst genehmigt. Lesen Sie hier, was das Saarländische Oberlandesgerichts (OLG) dazu meinte.

In diesem Fall musste geklärt werden, ob ein Nachlasspfleger ein zum Nachlass gehörendes Haus verkaufen durfte, um Wertverluste beispielsweise durch bauliche Alterungsprozesse des Gebäudes zu vermeiden. Eine mögliche Erbin hatte diesem Verkauf widersprochen, das Nachlassgericht den Verkauf aber zunächst genehmigt. Lesen Sie hier, was das Saarländische Oberlandesgerichts (OLG) dazu meinte.

Nach dem Tod der im Jahr 2020 verstorbenen Erblasserin war die Erbfolge zunächst unklar, weshalb das zuständige Nachlassgericht einen Nachlasspfleger eingesetzt hatte. Zu dessen Aufgaben gehörte es, das Vermögen der Verstorbenen zu sichern, zu verwalten und es im Interesse der noch unbekannten Erben zu erhalten. Zum Nachlass gehörte unter anderem eine Immobilie, die teilweise vermietet war. Der Verkehrswert der Immobilie lag bei etwa 176.000 EUR, zudem bestand der Nachlass aus einem Barvermögen von mehr als 330.000 EUR. Der Nachlasspfleger wollte die Immobilie im Jahr 2025 verkaufen und begründete dies damit, dass die Mieteinnahmen nicht ausreichten, um die laufenden Kosten zu decken. Zudem verschlechtere sich der bauliche Zustand der Immobilie, so dass diese ohne größere Investitionen an Wert verliere. Zwischen den zu diesem Zeitpunkt bekannten Erben bestand Uneinigkeit über den Verkauf der Immobilie.

Das OLG untersagte den Verkauf durch den Nachlasspfleger und stellte klar, dass es in erster Linie zur Aufgabe des Nachlasspflegers gehört, den Nachlass zu sichern und zu bewahren. Ein Verkauf der Immobilie ist nur dann ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn besondere sachliche Gründe vorliegen. Dies können hohe und nicht mehr tragbare Unterhaltungskosten, drohende erhebliche Bauschäden, die notwendige Zahlung von Nachlassschulden oder eine zwingend erforderliche Umwandlung in liquide Mittel sein. Keiner dieser Gründe konnte hier durch das Gericht festgestellt werden. Allein der Umstand, dass sich der Zustand eines Gebäudes ohne Pflege verschlechtern kann, rechtfertigt noch keinen Verkauf. Zudem war durch das Barvermögen eine ausreichende Liquidität vorhanden. Auch der mögliche erzielbare Kaufpreis oberhalb eines gutachterlich ermittelten Verkehrswerts rechtfertigt keine Veräußerung der Immobilie, da der Zweck der Nachlasspflegschaft die Sicherung des Nachlasses und nicht die Vermögensvermehrung ist.

Hinweis: Im Rahmen der Nachlasspflegschaft steht im Vordergrund, den Nachlass zu sichern. In Zweifelsfällen ist abzuwarten, bis die Erben feststehen, damit diese in die Lage versetzt werden, selbst Entscheidungen über das Schicksal von Nachlassgegenständen zu treffen.


Quelle: Saarländisches OLG, Beschl. v. 29.07.2025 - 5 W 34/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Solarpaneele in Eigentümergemeinschaft: Bauliche Veränderung in Eigenregie ist auch nach altem WEG abzubauen

Gesetzesnovellen regeln Dinge anders als zuvor, sonst wären Anpassungen schließlich unnötig. Dass jedoch nicht alles auf den Kopf gestellt wird, was vorher galt, zeigt dieser Fall, der vor dem Bundesgerichtshof (BGH) landete. Dabei ging es um einen Streit in einer Eigentümergemeinschaft über eine Solaranlage, die ein Eigentümer an seinem Balkon angebracht hatte und die er über zwei Versionen des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) hinweg durchzusetzen versuchte.

Gesetzesnovellen regeln Dinge anders als zuvor, sonst wären Anpassungen schließlich unnötig. Dass jedoch nicht alles auf den Kopf gestellt wird, was vorher galt, zeigt dieser Fall, der vor dem Bundesgerichtshof (BGH) landete. Dabei ging es um einen Streit in einer Eigentümergemeinschaft über eine Solaranlage, die ein Eigentümer an seinem Balkon angebracht hatte und die er über zwei Versionen des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) hinweg durchzusetzen versuchte.

Ein Mann hatte an der Brüstung seines zum Innenhof zeigenden Balkons Solarmodule befestigt. Bereits im Jahr 2004 wurde er vom Amtsgericht (AG) verpflichtet, die Anlage wieder zu entfernen. Trotzdem blieb sie bestehen. Über die Jahre wurden schließlich Pflanzen auf dem Hof derart zurückgeschnitten, dass die Solarpaneele deutlich sichtbar wurden. Daher verlangte die Eigentümergemeinschaft im Jahr 2022 erneut den Abbau der Anlage, weil sie nicht zum Erscheinungsbild des Hauses passte. Das AG gab der Gemeinschaft Recht, das Landgericht hob die Entscheidung aber auf.

Schließlich befasste sich der BGH mit dem Fall, und dieser stellte klar, dass für bauliche Veränderungen, die vor dem 30.11.2020 abgeschlossen waren, das alte WEG gilt. Es komme also stets darauf an, welches Recht zum Zeitpunkt der Veränderung gegolten habe - und nicht etwa darauf, wann die Nachbarn davon erfuhren oder ob Pflanzen den Blick verdeckten. Entscheidend sei, dass der Eingriff in das gemeinschaftliche Eigentum bereits damals abgeschlossen war. War die Anlage also schon 2004 vorhanden, galt das alte Recht. Doch danach durfte ein einzelner Wohnungseigentümer keine sichtbare Veränderung vornehmen, ohne dass alle anderen zustimmen. Und selbst, wenn die Anlage später neu angebracht worden sein sollte, wäre auch nach neuem Recht ein Beschluss der Gemeinschaft erforderlich gewesen. Eine Genehmigung lag aber weder damals noch später vor. Der Mann konnte sich auch nicht auf einen Anspruch berufen, die Genehmigung nachträglich zu erhalten, und musste die Solaranlage entfernen.

Hinweis: Wer in einer Eigentümergemeinschaft wohnt, darf nicht einfach Solaranlagen, Satellitenschüsseln oder andere sichtbare Anbauten anbringen. Solche Veränderungen müssen vorher gemeinsam beschlossen oder genehmigt werden.


Quelle: BGH, Urt. v. 18.07.2025 - V ZR 29/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Fiktive Dauerkleingärten: Festgelegter Bebauungsplan bildet Basis für Kündigung der Flächen durch die Stadt

Der Begriff "fiktiver Dauergarten" steht nicht etwa für einen unerfüllbaren Traum gestresster Großstädter, sondern für gemeindeeigene Kleingärten, die in Bebauungsplänen zwar nicht als Flächen für Dauerkleingärten festgesetzt wurden, aber dennoch denselben Schutz genießen. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste nun entscheiden, ob eine Stadt einen solchen fiktiven Dauerkleingarten kündigen darf, um das Grundstück anders zu nutzen.

Der Begriff "fiktiver Dauergarten" steht nicht etwa für einen unerfüllbaren Traum gestresster Großstädter, sondern für gemeindeeigene Kleingärten, die in Bebauungsplänen zwar nicht als Flächen für Dauerkleingärten festgesetzt wurden, aber dennoch denselben Schutz genießen. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste nun entscheiden, ob eine Stadt einen solchen fiktiven Dauerkleingarten kündigen darf, um das Grundstück anders zu nutzen.

Die Stadt war Eigentümerin der großen Kleingartenanlage, die sie an einen Verein verpachtet hatte, der wiederum die einzelnen Parzellen an Kleingärtner weitergab. Der Vertrag bestand bereits, bevor das Bundeskleingartengesetz (BKleingG) in Kraft trat. Damit galt die Kolonie rechtlich als sogenannter fiktiver Dauerkleingarten. Im Januar 2022 kündigte die Stadt den Vertrag für elf Parzellen, weil sie dort Wohnhäuser, eine Kita und einen Spielplatz errichten lassen wollte. Für das Bauvorhaben lag zwar ein positiver Bauvorbescheid vor, aber kein Bebauungsplan. Der Pächter wollte die Kündigung nicht akzeptieren und zog vor Gericht. Das Amtsgericht gab ihm recht, das Landgericht bestätigte die Entscheidung.

Auch der BGH sah die Kündigung als unwirksam an. Nach dem Gesetz dürfen Pachtverträge über fiktive Dauerkleingärten nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 BKleingG gekündigt werden. Das gilt immer dann, wenn die Gemeinde Eigentümerin des Grundstücks ist und der Vertrag bereits vor Inkrafttreten des BKleingG geschlossen wurde. Der BGH stellte klar, dass eine andere Nutzung erst dann erlaubt ist, wenn sie durch einen Bebauungsplan ausdrücklich festgelegt wurde - ein einfacher Bauvorbescheid reiche dafür nicht aus.

Hinweis: Städte oder Gemeinden dürfen fiktive Dauerkleingärten nur dann auflösen, wenn die Fläche durch einen gültigen Bebauungsplan für eine andere Nutzung vorgesehen ist. Ohne einen solchen Plan bleibt die kleingärtnerische Nutzung geschützt.


Quelle: BGH, Urt. v. 17.07.2025 - III ZR 92/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)

Rechtsfahrgebot und Vorfahrtregeln: Unfall im unmittelbaren Kreuzungsbereich eines Kreisverkehrs

Nicht nur Fahranfängern wird es manches Mal mulmig, wenn sie einen Kreisverkehr passieren müssen. Dass diese rund verlaufende Fahrbahn mit mehreren Spuren und Abbiegemöglichkeiten durchaus ihre Tücken hat, zeigt dieser Fall, der vor dem Landgericht Lübeck (LG) landete. Dort trafen ein Autofahrer und ein Pedelecfahrer zum zweiten Mal aufeinander, um die Schuldanteile am zuvor erfolgten Zusammenstoß zu klären.

Nicht nur Fahranfängern wird es manches Mal mulmig, wenn sie einen Kreisverkehr passieren müssen. Dass diese rund verlaufende Fahrbahn mit mehreren Spuren und Abbiegemöglichkeiten durchaus ihre Tücken hat, zeigt dieser Fall, der vor dem Landgericht Lübeck (LG) landete. Dort trafen ein Autofahrer und ein Pedelecfahrer zum zweiten Mal aufeinander, um die Schuldanteile am zuvor erfolgten Zusammenstoß zu klären.

Der Beklagte befuhr im Kreisverkehr mit seinem Pedelec den Fahrradschutzstreifen. Der Autofahrer musste aufgrund eines Staus bremsen, so dass das Heck des Autos noch 20 bis 30 cm in den Fahrradschutzstreifen hineinragte. Der Pedelecfahrer kollidierte daraufhin mit dem stehenden Auto. Vor dem LG forderte der Autofahrer Schadensersatz in Höhe von insgesamt 8.613,05 EUR (inklusive Gutachterkosten) von dem Pedelecfahrer. Die Einzelheiten des Unfallhergangs waren zwischen den Parteien streitig.

Das LG entschied, dass der beklagte Pedelecfahrer 35 % der Schäden ersetzen muss. Die übrigen 65 % muss der Autofahrer tragen - insoweit hat das Gericht die Klage abgewiesen. Das Pedelec war im Streitfall als Fahrrad zu bewerten. Der Beklagte hätte laut Gericht mit seinem Pedelec äußerst rechts fahren müssen, da der Fahrradschutzstreifen Teil der Fahrbahn sei, auf dem das Rechtsfahrgebot gilt, weil er nicht von der Fahrbahn abgetrennt, sondern ein markierter Teil dieser Fahrbahn war. Wäre der beklagte Pedelecfahrer äußerst rechts gefahren, hätte er nach Überzeugung des Gerichts problemlos an dem Auto vorbeifahren können. Zudem war er zu schnell unterwegs. Er hätte seine recht hohe Geschwindigkeit verringern und überprüfen müssen, ob der Kläger ihn sehen würde. Schön und gut - aber warum muss der Kläger den Großteil der Schäden in Höhe von 65 % tragen? Ganz einfach: Ihn trifft die überwiegende Schuld, erstens aus der sogenannten Betriebsgefahr seines Fahrzeugs heraus. Zweitens sprach der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass sich der Unfall bei der Einfahrt des Klägerfahrzeugs im unmittelbaren Kreuzungsbereich des Kreisverkehrs ereignet hatte. Der Kläger wollte mit seinem Auto in einen Kreisverkehr einfahren und hatte daher grundsätzlich die Vorfahrt zu achten. Somit ging das Gericht von einem Vorfahrtsverstoß des Klägers aus.

Hinweis: Der Kläger hatte rechtswidrig auf dem Fahrradschutzstreifen gehalten. Beim Überfahren des Schutzstreifens darf der Radverkehr nicht gefährdet und auf dem Schutzstreifen nicht gehalten werden. Fahrradschutzstreifen sind ein durch eine gestrichelte Linie vom Rest der Fahrbahn abgetrennter Bereich für Radfahrer.


Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 13.06.2025 - 9 O 146/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 11/2025)